Eine Sache vorweg: Ich kann Tavernenspiele - sofern sie bloß als Raum zum gemeinsamen Zeitverbringen dienen - immer noch nicht leiden, und ich halte sie (unter der beschriebenen Voraussetzung) immer noch für Zeitverschwendung für alle Beteiligten. Damit das hier im Feedback nicht zu weit führt, habe ich "Allgemeines zum Thema LARP"-Unterforum ein eigenes Thema verfasst, ind welchem ich meine Beweggründe näher erläutere. Das vorausgeschickt möchte ich sagen: Wenn man schon ein Tavernenspiel veranstaltet, dann hat diese Orga so ziemlich alles richtiggemacht, was man so richtigmachen kann.
Die Location war großartig. Wenn man schon zu einer LARP-Taverne geht, dann ist ein so uriger Ort wie das "Hieronymus" in Lübeck der Gold-Standard, an dem man sich messen lassen sollte. Der Gastraum ist hoch genug, damit es nicht zu schnell heiß und stickig wird, es gibt einen ordentlichen Tresen, Mobiliar und Bausubstanz sind wunderbar „ambientig“ (hunderte Jahre alte Holzbalken, Backsteinmauerwerk, große Feuerstelle, etc. pp., ihr wart ja alle selber da). Die wunderbare Orga hat neben Bier, Kaltgetränken und Kaffee(!) auch ausreichend Knabbereien sowie schöne „alte“ Kartenspiele und ausreichend Knabbereien bereitgestellt. Sowas sind keine Kleinigkeiten, das sind entscheidende Elemente für einen guten Gastgeber und einen gelungenen Abend.
Dass nur das unterste Geschoss nutzbar war, erwies sich als Segen, denn so konzentrierte sich das Spielgeschehen auf einen einzigen gut übersehbaren Bereich. Man konnte stets das Gefühl haben, an allem beteiligt zu sein. Dass nur ein einziges winziges Klo für alle zur Verfügung steht ist bedauerlich, aber eben nicht zu ändern.
Wir hatten tolle Musikanten, die nicht nur hübsch anzusehen waren, sondern auch ihre Instrumente zu spielen verstanden. Das ist immer gut.
Die NSC waren optisch opulent und beeindruckend ausgestattet, sowohl Papa Jambo als auch die brandvernarbte Rothaarige, deren Namen ich den ganzen Abend nicht mitbekommen habe, sahen toll aus. Außerdem hat sich René Jambo die Größte Mühe gegeben, auch noch das letzte aus einem Voodoo-Dienstleister herauszuspielen. Das war schön.
Schön war auch der Verkauf von verschiedenen Krimskrams mit unterschiedlicher Anwendbarkeit. Die Idee, einen kleinen Verkaufstand auf einem Tavernenlarp einzurichten, ist sehr gut. Das wertet die Veranstaltung erheblich auf, indem es ihr eine zusätzliche Dimension verleiht. Ich kann nicht bloß mit meinen Freunden in Kostüm Bier trinken, ich kann mir auch hübsche Kinkerlitzchen, nützlichen Kleinkram oder ein nettes Souvenir kaufen.
Diese Dinge waren auf jeden Fall ganz besonders schön. Der restliche Abend war nichts Besonderes, aber dafür auch nicht schlecht. Ein Tavernenspiel krankt immer daran, dass es im fundamentalen Gegensatz dazu steht, was ein LARP eigentlich sein soll: Ein Spiel nämlich, das seinen Teilnehmern Herausforderungen und Aufregung bietet. Das steht so nirgendwo geschrieben, aber es ist die stillschweigende Erwartung, mit der wir alle – Spieler wie NSC – auf ein Liverollenspiel gehen, die Erwartung nämlich, dass wir spielen können.
„Hieronymus Hoffmanns Heiteres Hopfenhaus“ stand vor demselben Problem, das jedes Tavernenlarp hat: Es gibt nichts zu tun. All jene unter uns, die jetzt einwenden möchten, dass Kartenspielen und Würfel würfeln doch auch ganz nett seine, sollten zumindest eingestehen, dass diese beiden Aktivitäten nach spätestens der Hälfte des Abends aufgehört haben. Ihr habt auch nicht die ganze Zeit gewürfelt und Karten gekloppt, das hielte ja auch keiner aus!
Die Orga hat sich redlich Mühe gegeben, weiteren Anreiz für Beschäftigung zu bieten mit ihrem Geisterplot und der Geheimnisvollen Kiste TM, doch sie ist dabei mit einem Problem konfrontiert worden, das diese beiden Plot-Typen immer haben: Wen interessiert’s? Ein spukendes Gespenst, das kleine Gegenstände umwirft und ohne Vorwarnung Leuten Schmerzen zufügt, ist gutes Horrorfilmmaterial und wäre der blanke Schrecken, wenn es im wahren Leben passieren könnte. Auf einem LARP ist es einfach komplett egal. Hier spukt es? Na und, ist nicht mein Haus. Hier fallen immer wieder Würfel vom Tisch? Das ist gelegentlich nervig, aber was soll ich denn schon dagegen tun?
Zufällige Poltergeistereignisse sind für einen LARPer nicht gruselig, sie sind in den meisten Fällen nicht einmal störend. Sie sind auf gar keinen Fall ein Grund, in Aktivismus zu verfallen. Im Falle der Taverne „H4“ offenbarte sich ganz besonders deutlich ein grundlegendes Problem mit solchen Plots: „Nicht mein Zirkus, nicht meine Affen“, will sagen: Das betrifft mich nicht, das geht mich nichts an, ich kann einfach nach Hause gehen und mich mit dem Kram nicht weiter beschäftigen. Eben weil für uns als Kneipenpublikum nichts auf dem Spiel steht und wir einfach gehen können, kann uns dieser ganze Spuk auch herzlich egal sein. An dieser Stelle möchte ich die Orga dafür loben, dass sie nicht auf den total ausgelutschten Trick zurückgegriffen hat, dass plötzlich alle Türen und Fenster verrammelt sind und wir den Ort nicht verlassen können, bis der Plot gelöst ist. Danke dafür.
Immerhin hat sich die Brandnarbige kräftig ins Zeug gelegt, um uns den Spukplot vorzuführen und uns Spieler zur Handlung zu animieren, doch es fehlte ein entscheidendes Element: Ein Grund, warum uns das kümmern sollte. Außer der Lautstärke und Hartnäckigkeit der Vortragenden gab es einfach keinen Anlass, sich mit der Puppe zu beschäftigen. Schmeißt die Puppe in den Kleiderschrank, werft die schreiende Frau aus der Kneipe, holt noch eine Runde Bier, Problem gelöst. So einfach kann es sein. Nicht von ungefähr hat sich allerhöchstens die Hälfte der Anwesenden mit dem Puppenkrempel beschäftigt, und ich bin mir sicher, dass viele von denen das vorranging darum gemacht haben, weil das spannender ist als Farbe beim Trocknen zuzuschauen.
Das Postpaket war noch schlimmer: Es fällt noch viel deutlicher in die Kategorie „geht mich nichts an“. Das ist ein mysteriöses Paket? Na und? Stellen wir uns folgendes vor: Keinen Spieler hätte dieses Paket gejuckt. Igor kommt spät am Abend vorbei und holt es ab. Das war’s. Was war hier der Plan der Orga? Wie hätte dieser Ablauf irgendwie den Abend bereichert? Wenn so der Ablauf eines Plot-Hooks aussieht, wenn die Spielerinteraktion ausbleibt, dann kann man sich selbigen Ansatz komplett sparen. Ganz ehrlich, ihr habt doch nicht Zeit und Arbeit in die Gestaltung dieser Kiste investiert, damit Dennis die einfach stillschweigend wieder mitnimmt.
Das Paket habe ich allein aus einem Grund an mich gebracht und seine Öffnung vorangetrieben: Weil mir langweilig war. Insofern vielen Dank an die Orga, dass es so ein kleines Puzzle gab, mit dem ich mich amüsieren konnte. Dieser Dank ändert allerdings nichts daran, dass ich (und wohl auch alle anderen) keinen IT-Grund hatte, mich dieser Kiste anzunehmen. Es war einfach offensichtlich, dass sie von der Orga in der Absicht platziert wurde, sich damit zu beschäftigen, also habe ich diesen Strohhalm ergriffen. Das war eine rein von OT-Motivation und OT-Wissen getriebene Entscheidung meinerseits. Aus der Spielsituation heraus gab es, noch viel mehr als bei der Puppe, einfach keinen Grund, sich mit dem Ding auseinanderzusetzen.
Obendrein war es schon recht schäbig, einen Gegenstand ins Spiel zu bringen, der „Augen der Geisterwelt“ ermöglicht, und ihn dann komplett nutzlos zu machen. „Ja, Du kannst in die Kiste reinschauen. Die Dinge in der Kiste sind alle mit Stoff umwickelt. Mehr kannst Du nicht sehen.“ Na toll. Was soll denn das? Ein Hilfsmittel zur Plotlösung bereitzustellen, welches sich dann als komplett nutzlos herausstellt, ist eine ganze miese Nummer. Nicht nur wurde das Auge damit bedeutungslos und hätte auf einfach weggelassen werden können, es hat auch den Kistenplot uninteressanter gemacht. Ein konkreter Hinweis darauf, was für spannende Dinge sich in der Kiste befinden, hätte die Motivation erhöht, das Ding aufzukriegen. So hingegen wurden wir nur noch einmal darin bestätigt, dass wir keine Ahnung haben, was das ist und es uns eigentlich nichts angeht. Mal ehrlich: Warum habt ihr denn diese Kiste gebastelt? Ihr habt euch als Veranstalter doch bestimmt gewünscht, dass eure Arbeitszeit dahingehend Früchte trägt, dass sich die Spieler mit dem Ding beschäftigen. Ein Hinweis darauf, was drin ist und warum uns das interessieren sollte, hätte dazu beigetragen.
Schließlich empfand ich die repräsentierte „Unterwelt“ einfach nur als störend. Es ist ermüdend und bis zur Überstrapazierung ausgereizt, dass Phönix-Kneipen vom organisierten Verbrechen infiltriert sind. In Tulderon gehört das zum Konzept, überall woanders hat es seinen Reiz längst verloren und ist zum Klischee verkommen. Das „H4“ wurde immerhin als anständige Kneipe beworben. Obendrein wirkt es in Aklon-Stadt deplatziert. Wir haben schon eine Stadt der Diebe. Wir brauchen nicht noch eine. Als Frau Rabenfeder Schutzgeld gefordert hat, hatte ich nicht übel Lust, den Laden anzustecken und nach Hause zu fahren.
War also alles schlecht? Keineswegs! Die Requisiten waren liebevoll ausgewählt und schön anzusehen. Das Russische Runen Roulette war absolut der Höhepunkt meines Abends. Ich habe Tränen gelacht, als ich blind Händchenhaltend mit einem röchelnden Leon auf meinem Stuhl saß. Nicht nur hat die ultorianische Glaubensschwester eine beeindruckend vernünftige und besonnene ebenfalls erblindete abgeben, nein, Leons Röchel- und Hustkonzert war so engagiert und gleichzeitig urkomisch, dass ich mich so gut amüsiert habe wie seit langem nicht.
Auch die Musik war, wie schon eingangs erwähnt, sehr schön, wenn auch insgesamt zu wenig. Allzu oft war es in der Taverne sehr still. Da können wohl nur noch mehr Musikanten abhelfen!
Ausstattung und Kostümierung der Mitspieler waren schön, und ganz generell haben sich alle Anwesenden Mühe gegeben, dass es ein schöner Abend wird.
Ich hoffe sehr, dass es eine Wiederholung des „H4“ geben wird. Wenn ich auch Tavernenspiele grundsätzlich nicht leiden kann, so habe ich mich noch auf keinem so gut amüsiert wie auf diesem. Ich würde mir für die Zukunft allerdings folgendes wünschen:
- Gründe, mich mit dem Spielangebot zu beschäftigen.
Eine Angebotene Belohnung ist immer das einfachste Mittel. Es wäre ja ein leichtes gewesen, wenn der Wirt eine größere Summe Geld angeboten hätte dafür, dass einem die tapferen Gäste den Geist vom Keib schaffen. Ebenso hätte doch der arme Igor vor seiner verschlossenen Truhe sitzen können und jemanden suchen, der ihm hilft, das blöde Ding aufzukriegen. Letzteres ist zwar etwas konstruiert, aber es gibt uns wenigstens einen Vorwand, uns für den Plotgegenstand zu interessieren. - Mehr Wettbewerbe.
Es gibt eine Fülle von Angeboten, mit denen auch reale Kneipenbesitzer ihre Kundschaft anlocken: Kneipenquiz (zugegebenermaßen praktisch unmöglich im Phönixlarp), Wettbewerbe, Partyspiele, Gesellschaftsspiele (Wie wäre es mal mit Jenga in der Taverne?), sportliche Wettbewerbe, Puzzlen auf Zeit, Kreuzworträtsel um die Wette, etc.
Ein Plotgegenstand wie die Kiste ließe sich ganz einfach als zur Unterhaltung platziertes Puzzle etablieren: Um seine Kundschaft aus Abenteurern zu unterhalten hat der Wirt des „H4“ eine aufwendige Puzzlebox bereitgestellt. Wer unter persönlicher Gefahr (und zur Belustigung des Publikums!) diese knifflige Kiste öffnet, der darf etwas von ihrem wertvollen (aber bisher unbekannten!) Inhalt als Preis behalten. Schwupps, schon hat man einen Grund, sich für das dumme Ding zu interessieren. - Noch mehr Abendunterhaltung durch die Spieler für die Spieler
Die wunderbaren Barden, Lisbeths Kopfmassagen, der Krughändler, Ruthgers Kartenspiel: Das Alles waren Elemente, die von Spielern mitgebracht wurden und den Abend erheblich bereichert haben. Ein Tavernenspiel kann nur gewinnen (und ich möchte sogar sagen: Es hat überhaupt nur dann eine Daseinsberechtigung), wen es eine Plattform ist für Spieler, tolle Dinge auszuprobieren oder den Mitspielern ein aktives Spielangebot zu machen. Mein Abenteurerwettbewerb ist aus dem Gedanken der Spielbereicherung geboren, indem ich mich gefragt habe: Wie kann ich meinen Mitspielern eine Herausforderung bieten, bei der die Teilnehmer sich an einer Aufgabe messen können (inklusive Belohnung) und die Zuschauer unterhalten werden? - Mehr Flohmarkt
Ich halte den Trödeltisch am Tresen für den besten und innovativsten Einfall des Abends. Nicht nur ließen sich dort nützliche und schöne Häkelsachen von Melle kaufen, sondern auch hübscher Ambientetand und witzige verzauberte Gegenstände. Das ist etwas echt Gutes und ist ausbaufähig. Vielleicht ließe sich das ja behutsam ausbauen zu einem Verkaufsstand für selbstgemachtes (Täschchen, nützliche hilfreiche Dinge) und einem ganz kleinen Bring-n-Buy Flohmarkt (jeder nur ein Teil, sonst wird’s zu groß).